Kurzinhalt:
Die 12-jährige Tinja findet ein verlassenes Vogelei im Wald und nimmt es mit zu sich nach Hause. Wohlbehütet in ihrem warmen Bett beginnt das rätselhafte Ei bald, größer zu werden – viel größer! Es dauert nicht allzu lange, da machen sich erste Lebenszeichen unter der harten Schale bemerkbar. Was schließlich aus dem Riesenei schlüpft, hätte Tinja sich in ihren dunkelsten Träumen nicht vorstellen können…
Originaltitel: Pahanhautoja
Jahr: 2022
Genre: Bodyhorror, Drama, Horror
Kinostart: 28.07.2022 (limitiert)
3D: Nein
Altersfreigabe: ab 16 Jahren – FSK
Produktionsland: Finnland, Schweden
Regie: Hanna Bergholm
Drehbuch: Hanna Bergholm, Ilja Rautsi
Musik: Stein Berge Svendsen
Produzenten: Mika Ritalahti, Nico Ritalahti, Nima Yousefi, Cloé Garbay, Laurent Jacobs, Peter Kropenin, James Benjamin Shannon, Bastien Sirodot
Darsteller: Siiri Solalinna, Sophia Heikkilä, Jani Volanen, Reino Nordin, Oiva Ollila, Ida Määttänen, Saija Lentonen, Stella Leppikorpi, Hertta Nieminen, Aada Punakivi, Hertta Karen, Jonna Aaltonen, Miroslava Agejeva
Kritik:
Von Sebastian Notbom
Prüfungsmedium: Kino
Anzahl der Kritiker: 2
Die Mutter der jungen Tinja hat die perfekte Familie, in einem perfekten Haus und betreibt den perfekten Vlog „Wunderschöner Alltag“, um die Perfektion ihrer perfekten Familie möglichst der ganzen Welt zu präsentieren. Doch unter der strahlend glänzenden Oberfläche brodelt es gewaltig: Tinja will – ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit – ihrer viel zu perfektionistischen Mutter möglichst immer alles recht machen. Die Mutter betrügt unterdessen ihren „langweiligen“ Ehemann, dem wiederum alles egal zu sein scheint. Auch Tinjas jüngerer Bruder Matias scheint sehr verhaltensauffällig. Zu guter Letzt zieht eine neue Familie im Nachbarhaus ein, deren gleichaltrige Tochter Tinja sportlich in den Schatten zu stellen scheint. Dadurch sieht Tinjas Mutter ihre eigenen zerbrochenen Jugendträume einer Karriere im Leistungssport, die sie nun voll und ganz auf ihre Tochter projektiert, gefährdet…
Tinjas einstmals perfekte Welt bricht immer mehr in sich zusammen. Doch plötzlich findet sie ein Ei im Wald; das Ei eines Vogels, für dessen Tod sie sich unbegründeterweise selbst die Schuld gibt. Kurzentschlossen nimmt sie es mit nach Hause, um es auszubrüten… Mit Erfolg! – Das Ei, welches sich offensichtlich von Tinjas Tränen ernährt, wird immer größer, bis schlussendlich ein gigantischer und verdammt hässlicher Vogel (mit Zähnen) aus der Schale hervorbricht…
An dieser Stelle sollte nicht zu viel verraten werden. Man kann sich allerdings denken, dass dieser Vogel etwas mit Tinjas, stark unter der eigenen Mutter leidenden Psyche zu tun hat; sie sich den Vogel womöglich nur eingebildet hat. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht: Das Drama spielt sich auf mehreren psychologischen Ebenen ab (Angst, Neid, Frustration, Familie, Benachteiligung etc.), dieser Vogel ist allerdings eine wirkliche Manifestation von Tinjas seelischen Problemen (weshalb wir es hier mit einen waschechten „Bodyhorrorfilm“ zu tun haben); die Probleme eines jungen Mädchens, das einfach noch nicht wissen kann, wie es mit ihnen umgehen soll und das offensichtlich niemandem hat, um darüber zu reden. Alle Familienmitglieder sind viel zu sehr auf sich selbst fixiert und der von der Mutter geschürte, krankhafte Ehrgeiz verhindert Freundschaften mit Schulkamerad*innen. So versucht Tinja vorerst die Existenz ihrer „Brut“ zu verheimlichen, doch der gruselige Riesenvogel bzw. die Probleme lassen sich nicht bändigen. Tatsächlich wachsen und entwickeln sich beide (die Probleme und ‚Alli‘ – so der Name der Kreatur) immer weiter…
Die perfekte Familie, in perfekter finnischer Plansiedlungsidylle – stets dargestellt in hellen Farben und perfektem Wetter – stehen in krassem Kontrast zum stetig wachsendem Horror bzw. Wahnsinn, der die junge Tinja heimsucht.
Die wohl durchdachte Geschichte entsprang dem Geiste der bisherigen Kurzfilmerin Hanna Bergholm, die für ihren ersten richtigen Film natürlich selbst auf dem Regiestuhl Platz genommen hat. Bergholm liefert hier ein grandioses Debüt und beweist viel Fingerspitzengefühl im Bereich des psychologischen Horrors. An der technischen Umsetzung gibt es nichts auszusetzen, schließlich hat sie ihre Berufung studiert (Master of Arts an der University of Art and Design Helsinki in Filmregie) und tritt in die Fußstapfen ihres Vaters, der seit den 60er Jahren über 40 finnische TV-Movies und Serien gefilmt hat. Ihre Mutter war ebenfalls als Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin sehr erfolgreich…
Haben wir hier womöglich einen verspäteten Hilfeschrei, bezüglich des familiären und beruflichen Leistungsdrucks? – Wer weiß das schon…?
Besonders interessant wurde in Hatching die zunächst vogelartige Kreatur ‚Alli‘ inszeniert. Anfangs wird sie mit Hilfe einer Puppe dargestellt, die sehr an die surrealen Figuren Jim Hensons (Die Muppets, Der dunkle Kristall) erinnert. Im Verlauf wächst Alli natürlich, so dass wir es bis zur vollendeten Entwicklung – über mehrere Wachstumsstufen – auch mit Personen in wirklich creepigen Kostümen zu tun bekommen. Dabei lässt der bewusste (vielleicht auch Budget-bedingte, weitgehende) Verzicht auf CGI (Computer Generated Imagery) die Kreatur sehr nahbar und ziemlich ekelhaft erscheinen. Ein „Ding“, das wirklich nur von seiner Mutter geliebt werden kann; in diesem Fall von seiner 12-jährigen „Brüterin“ Tinja…
Fazit:
Hatching bietet äußerst düsteren Psycho-Horror, in konträr-strahlendem Ambiente. Der Kontrast zwischen der fast schon glitzernden Vorstadtidylle und der stetig, durch „psychologische Sinkholes“ bröckelnden Fassade einer Instagram-Vorzeigefamilie, wurde in erstklassigen Bildern von der finnischen Debütantin Hanna Bergholm eingefangen und präsentiert. Dieser ungewöhnliche (Body-)Horrorfilm ist somit nicht nur für Genre-Fans geeignet, sondern für jeden, der sich für Psychologie und Belastungsstörungen interessiert (was heutzutage wohl „leider“ viele dürften)…
Natürlich haben wir hier keine wissenschaftliche Abhandlung, aber einen sehr interessanten, kurzweiligen und vor allem ungewöhnlichen Beitrag, der ein wenig die Synapsen kitzelt und dabei gekonnt wohliges Grauen erzeugt.
5 von 6 Punkten
DVD / Blu-ray / Mediabook
Verleih: Capelight Pictures
Verleihstart: Unbekannt
Verkaufstart: 07.10.2022
Verpackung: Amary / Blu-ray Hülle (schwarz) / Mediabook
Discs enthalten: 1 bzw. 2 im Mediabook
Wendecover: Unbekannt
Schuber: Unbekannt
Ton:
• Deutsch: DD 5.1 (Blu-ray: DTS-HD Master Audio 5.1)
• Finnisch: DD 5.1 (Blu-ray: DTS-HD Master Audio 5.1)Untertitel: Deutsch
Bildformat: 1,85 : 1
Blu-ray & VoD Auflösung: 1080p / 24Hz
4K UltraHD Auflösung: –
Laufzeit 25Hz: ca. 87 Min. (DVD)
Laufzeit 24Hz: ca. 90 Min. (Kino, Blu-ray, VoD)
Uncut: Ja
Extras:
• 24-seitiges Booklet (Mediabook)
• Trailer